Leben ist Veränderung. Das gilt auch in der dritten Lebensphase. Wir sollten aber auch nicht freiwillig aufgeben, was unser Leben bisher bereichert hat. Es erneut zu aktivieren, ist mühsam und oft auch gar nicht mehr möglich.
Als meine Freundin Johanna 75 Jahre alt wurde stand ein Umzug an. Ihre Kinder hatten für sie eine zentral gelegene Wohnung gefunden, mit gutem Zuschnitt, einem Balkon und sogar mit Anschluss an die öffentlichen Verkehrsmittel. Eigentlich hätte alles gut werden können.
Doch Johanna vergrub sich in ihre neue Wohnung. Sie sichtete monatelang alte Korrespondenzen, Fotos, Bücher und vergaß, die Kontakte zu Freundinnen aufrecht zu erhalten. „Das mache ich, wenn ich damit fertig bin.“ Mein Rat, doch wenigstens einmal die Woche mit ihnen zu telefonieren, schlug sie in den Wind.
Doch als es soweit war, hatte Johanna sich verändert. Sie traute sich nicht mehr allein in die Bahn zu steigen, um die paar Kilometer zu einer ihrer Freundinnen zu fahren. Sie zweifelte, ob diese noch mit ihr zu tun haben wollten. Ihr Alltag war in eine so enge Struktur geprägt, dass jede Änderung, jeder Termin sie total nervös machte und sie so lieber darauf verzichtete.
Mich machte diese Entwicklung sehr traurig. Ich hatte Johanna als eine aktive, dem Leben zugewandte und allem Neuen aufgeschlossene Frau kennengelernt. Sie war mein Vorbild gewesen. Uns trennten 17 Jahre, so wie sie wollte ich älter werden. Das war nun nicht mehr der Fall, doch habe ich aus ihrer Situation einiges gelernt.
Fähigkeiten brauchen Übung
Fahrrad fahren, so sagt man, verlernt man nicht. Die Grundfertigkeiten wohl nicht, aber die Geschicklichkeit und die Sicherheit im Verkehr wird abnehmen, wenn man nicht ständig in Übung bleibt. Auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird schwinden. Noch mehr gilt das für die geistigen Fähigkeiten. Wenn wir diese brach liegen lassen, gerät vieles in Vergessenheit: „Wie ging das nochmal?“
Freundschaften wollen gepflegt werden
„Lass auf dem Weg zum deinem Freund kein Gras wachsen“, so lautet ein Sprichwort. Und Gras wächst, wenn wir den Weg nicht gehen. Der Faden zu Freunden wird dünner, je weniger Kontakt wir haben, bis er eines Tages ganz reißt. Das muss nicht bei allen Freundschaften zutreffen, manche halten auch, wenn man sich lange nicht sieht. Doch darauf verlassen sollte man sich nicht. In dieser umtriebigen Zeit, in der zusätzlich die räumliche Distanz persönliche Besuche vereitelt, bleibt doch die Möglichkeit, mit einem Anruf, einer Email oder einer elektronischen Nachricht kurz anzudocken: „Wie geht es dir? Was machst du? Ich denk an dich:“ Wir müssen nur den Spieß umdrehen und uns fragen, ob wir uns über solche kleine Zeichen nicht freuen würden. Denn regelmäßiger Kontakt stärkt die Verbundenheit.
Flexibilität und Spontaneität entstehen durch Wandel
Wer vieles auf die Reihe bringen muss, schafft auch viel. Das ist nicht nur meine eigene Erfahrung, das beobachte ich auch in meinem Umfeld. Im Gegensatz dazu die Menschen, deren Alltag im immer gleichen Muster abläuft: Sie vergessen auch den einen Termin in der Woche. Je weniger wir uns neuen Herausforderungen, neuen Rhythmen stellen, desto schwerfälliger werden wir. Es geht nicht darum, das ganze Leben immer wieder neu zu erfinden, doch in einigen Bereichen haben wir immer die Möglichkeit: Wir können neue Gerichte ausprobieren, andere Menschen treffen, uns mit unbekannten Themen auseinandersetzen oder etwas Neues lernen. Geben wir Dinge nicht freiwillig auf, um sie später wieder zu aktivieren. Das funktioniert nicht oder nur schwer. Wir sollten uns nicht einreden, dass wir im Alter eingeschränkt sind, sondern lieber den Gegenbeweis antreten, was auch in der dritten Lebensphase (noch) möglich ist. Damit tun wir uns selbst den größten Gefallen. Das Leben ist Veränderung, Veränderung heißt Lebendigkeit.
Geist und Körper wollen trainiert werden
Wussten Sie, dass der Körper ab dem 30. Lebensjahr bis zu ein Prozent Muskeln pro Jahr abbaut? Bis zum 80. Geburtstag reduziert sich die Muskelmasse um 40 Prozent. Muskeln halten unser Knochengerüst zusammen, sie helfen, die Balance zu halten, was wiederum Stürze verhindert. Auch wenn Sie längere Zeit keinen Sport gemacht und sich auch sonst im Alltag wenig bewegt haben, ist es nie zu spät, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Ähnliches gilt für den Geist. Auch wer muss, soll er aufnahmefähig und aktiv bleiben, gefordert werden. Sudoku und Kreuzworträtsel reichen dafür nicht aus: Etwas Neues lernen, sich mit unbekannten Themen beschäftigen oder Lösungen für ein kniffliges Problem suchen, das ist der Weg.
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